Mit Nichtwissen umgehen …
Nun setze ich mich erneut hin, um einen Text zu verfassen: stärkend, mutmachend … Und wieder will so recht nichts zustande kommen. Es fehlen die Worte.
Das Undenkbare hat stattgefunden und findet statt, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Während ich schreibe – und genau jetzt. Es ist Krieg in Europa. Weit genug entfernt, als dass wir hier im Moment um Leib und Leben fürchten müssten, aber nahe genug für Trauer, Mitgefühl, Wut, Ratlosigkeit …
Nachrichten, Bilder, Posts im Netz, Einschätzungen von Expertinnen und Experten jeder Art: Politikprofis, Osteuropa-Kenner, Korrespondentinnen vor Ort, Betroffene in Talksendungen am Abend … Meinungen, Rückblicke in die Geschichte und Geschichten …
Ja, sich informieren tut gut. Es lässt scheinbar handhabbar werden, was unübersichtlich ist und fassungslos macht. Manches Mal bleibt ein Bild im Sinn, das berührt, erschreckt, verstört, dann wieder gibt es zaghaft optimistische Ausblicke …
Und manchmal kann es auch zu viel werden. Am liebsten möchten wir gar nichts mehr hören und sehen.
Ich nehme an, wir alle teilen diese und ähnliche – etwas verworrene – Stimmungslage und unsere Ratlosigkeit.
Wer weiß, wie das alles weitergeht …?
Vielleicht haben Sie sich dies selbst schon denken oder sagen hören, oder jemand anderes raunt es im Gespräch. Alle Informationen, alle Sorgen, Vorstellungen, Befürchtungen nützen nichts. Ist es doch schlicht so: Wir wissen es nicht.
Der Alltag lehrt uns das eigentlich schon ein Leben lang: planen, hoffen, wünschen … Was die Zukunft bringt, was schon der nächste Moment, der nächste Tag: Ehrlicherweise ist es stets so, dass wir es nicht wirklich wissen. Zwei Jahre Pandemie haben uns dies noch einmal schmerzhaft erfahren lassen. Unser Wunsch, alles im Griff zu haben, erfüllt sich selten. Wir mögen uns aufbäumen, dagegen ankämpfen, wütend werden oder Schuldige suchen. Ändert es doch nichts daran.
Wie wäre es also, sich mit dem Nichtwissen anzufreunden …?
Zwar wissen wir nicht, wie der Weg weitergeht – was wir aber „wissen“ – besser vielleicht bemerken können – ist, wo wir uns im Moment befinden, so beschreibt es Jack Kornfield, ein amerikanischer Meditationslehrer.
Ich sitze, stehe, gehe … fühle mich angespannt, verwirrt, wütend … Ich atme …
Was also ist zu tun?
Ich habe auch keine leichten Antworten auf diese Frage. Allerdings scheint mir, dass zunächst einmal nicht das Tun, sondern vielmehr hin und wieder etwas „Lassen“ uns weiterbringt.
Wer innehält erhält innen Halt, heißt es sprechend in der Übersetzung einer chinesischen Weisheit, die dem „alten Meister“ Lao Tse (wahrscheinlich 7. Jh. vor Chr.) zugeschreiben wird: Innehalten – Halt gewinnen!
Neben aller Geschäftigkeit auch ganz bewusst Meditation, Gebet und Stille suchen.
Innehalten, für ein paar Momente. Zu mir kommen, statt außer mir sein: Körper, Atem, Gegenwart. Bemerken, wie ich im Moment verfasst bin. Empfindungen und Gefühle so da sein lassen, wie sie es gerade sind. Mitfühlend mit mir selbst. Ich wünsche uns allen, dass wir uns solche Momente bewusst erlauben.
Das „Gebet“ als Quelle von Kraft und Zuversicht. Eine Metta-Meditation der „liebenden Güte“. Gute Wünsche formulieren. Hoffnung erbitten für die, mit denen wir mitfühlen, um die wir uns sorgen. Und für uns selbst. Oder auch für die, die momentan besonders Kraft und Mut brauchen oder gezeigt haben. Ich denke an Bilder, die mir Hoffnung gegeben haben: Eine Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehens hat den Mut aufgebracht, mitten hinein in die Hauptnachrichtensendung ein Plakat zu halten: Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht! Welcher Mut! Sie und andere, die diesen Mut aufbringen, vielleicht können wir sie in Gebete einschließen.
Und aus der Stille heraus, so scheint es mir, lässt sich dann klarer sehen, was zu tun ist!
Möchte ich vor Ort mittun, dort, wo geholfen und Nächstenliebe geübt wird?
Kann ich Zeit oder einen Geldbetrag spenden, dorthin, wo es gebraucht wird?
Vielleicht ist es Zeit, endlich einen „Krieg im Kleinen“ zu befrieden: einen Nachbarschaftsstreit zu beenden suchen, eine gestörte Freundschaft zu neuem Leben erwecken, den Groll auf wen oder was auch immer zu mildern?
Oder mit mir selbst freundlich sein, mit Unerwünschtem ins Reine kommen.
Wie wäre es, in meinem ganz persönlichen Umfeld Freude und Zuversicht zu nähren: ausgiebig telefonieren, eine Einladung zum Essen, ein gemeinsamer Spaziergang … Was Fantasie und Mut hergeben, wahr werden lassen. Gemeinsam Hoffnungen teilen.
Ja, und auch: unseren Zweifel, die Sorgen, die Angst! Wieviel leichter zu ertragen ist es in Gesellschaft. Hilfe und Zuspruch geben und bekommen.
Und nicht zuletzt wird es aus der Stille heraus leichter sein, zu entscheiden, wieviel Information, Meinung und Medienbilder uns guttun. Sich selbst Regeln geben und das einzuüben, was Fachleute die „Medien-Hygiene“ nennen: Wann ist es Zeit, das Smartphone zur Seite zu legen, den Fernseher ausmachen und in der unmittelbaren Gegenwart anzukommen? Nicht wissend wie es weitergeht, aber da zu sein, wo wir uns im Moment befinden!
Impuls Heike Wagner, März 2022